Wirbelsäule

Hintergrund:

Die Prävalenz von Wirbelsäulendeformitäten im Sinne einer Skoliose beträgt etwa 4%. Dabei unterscheidet man frühe Formen (infantile und juvenile) von der adoleszenten Form. Die Adoleszenten-Skoliose ist häufig mit dem Risiko einer rapiden Progredienz im pubertären Wachstumsschub assoziiert. Je höher die Ausprägung der Deformität in der Seitwärtsausrichtung ist (je höher der Cobb-Winkel ist), desto wahrscheinlicher ist eine Progression. Weinstein et al. zeigten bereits 1986, dass bei Kindern mit einem Cobb Winkel bis 20° das Progressionsrisiko 25% beträgt, zwischen 20° und 29° bereits 60%. Über 30° schreitet die Skoliose in 9 von 10 Fällen voran. Erreicht die Krümmung Werte über 80°, steigt das Invaliditäts- und Mortalitätsrisiko. Dass Screening-Maßnahmen eine gute Methode sind, um Wirbelsäulendeformitäten zu erkennen, zeigte die Auswertung der J1-Untersuchungen des Robert-Koch-Institutes im Rahmen der KiGGs-Befragung: in der Gruppe der Jugendlichen, welche die J1-Untersuchung wahrgenommen hatten, zeigte sich eine Prävalenz von Skoliosen von 14,8% versus 10,5% bei nicht untersuchten Jugendlichen. Problematisch hierbei ist aktuell die geringe Teilnahme der Jugendlichen an dem Präventionsangebot: nur etwa ein Drittel der Jugendlichen lässt sich untersuchen.

Auf was sollte bei der Untersuchung der Wirbelsäule besonders geachtet werden?

  • Beinlänge (Beinlängendifferenz?)
  • Wirbelsäulenprofil p.a. und seitlich
  • Wirbelsäulenlot: Vertebra prominens zur Rima ani
  • Schulterassymmetrie?
  • Vorneigetest (mit ausgeglichener Beinlänge): Rippenbuckel? Lendenwulst?
  • Seitneigung nach links und rechts: Skoliose fixiert? Flexibel?

Welche weitere Diagnostik und Behandlung wird empfohlen?

  • Adoleszentenskoliose
    • Diagnostik: Röntgen der ganzen Wirbelsäule in 2 Ebenen im Stehen, ggfs. Bestimmung Knochenalter
    • Therapie nach Ausmaß der Krümmung
      • <10° Cobb: Haltungsassymmetrie: ggfs. Physiotherapie zur Haltungsschule
      • 10-20° Cobb: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung
      • 20°-50°: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung + Korsettempfehlung
      • > 50°: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung + (Korsettempfehlung) + OP-Indikation überprüfen
    • Verlaufskontrollen halbjährlich bis mindestens Wachstumsabschluss
  • Adoleszentenkyphose
    • Diagnostik: Röntgen der ganzen Wirbelsäule im Stehen p.a. uns seitlich
    •  Therapie nach Ausmaß der Deformität:
      • Stagnara 50-55°: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung
      • Stagnara 55-70°: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung + reklinierendes Korsett
      • Stagnara > 70° + Beschwerden: Physiotherapie (z.b. KG, KGG, MT, PT nach Schroth), Sportempfehlung + OP-Indikation überprüfen
    • Verlaufskontrollen halbjährlich bis mindestens Wachstumsabschluss

Welche Diagnosen im Bereich Wirbelsäule sind für OrthoKids relevant? Welche Diagnosekriterien gelten?

  • Adoleszentenskoliose (Seitverkrümmung >10° mit Rotationskomponente)
    • Anamnese: Menarche bei Mädchen (ab Menarche noch etwa 2 Jahre Restwachstum mit dementsprechender Progressionsgefahr!)
    • Beurteilung Krümmung nach Cobb-Winkel (Linie durch die am stärksten gegeneinander verkippten Deck- bzw. Grundplatten (Endwirbel). Der Winkel zwischen diesen beiden Linien (bzw. ihrer Senkrechten) entspricht dem Skoliosewinkel. Die stärkere Krümmung wird als Haupt-, die schwächere als Nebenkrümmung bezeichnet
    • Beurteilung der Rotation nach Nash and Moe: Der apikale Wirbelkörper wird in 6 Abschnitte unterteilt. Die lokalisation des Pedikelschattens auf der konvexen Seite schätzt das Ausmaß der Rotationskomponente ab
    • Prognostische Parameter:
      • Cobb-Winkel (größte Bedeutung; wenn >25°: Risiko der Progression >80%)
      • Alter bei Diagnose
      • Risser-Stadium
      • Menarche
  • Adoleszentenkyphose (Hyperkyphose): M. Scheuermann
    • Wachstumsstörung der Wirbelsäule mit Verschmälerung der Bandscheiben, Keilwirbelbildung, Deckplatteneinbrüchen und Kyphose im betroffenen Bereich. Lokalisationsmöglichkeiten: thorakal, thorakolumbal oder lumbal
    • Einteilung nach Ausmaß der Deformität: Ausmaßes mittels Stagnara-Winkel im seitlichen Röntgenbild: Winkel zwischen der Deckplatte von Th4 und Th12; ggfs. M. Scheuermann-typische Veränderungen: Schmorl-Knötchen, Randleistenhernien, Keilwirbel, Bandscheibenverschmälerungen